Ein Wort mit 100 Buchstaben – die Herausforderungen beim Übersetzen ins Ungarische

Weltweit sprechen nur ca. 14 Millionen Menschen Ungarisch, außer in Ungarn auch in der serbischen Region Vojvodina und der slowenischen Region Prekmurje, wenige auch in Rumänien, in der Südslowakei, in Nordserbien und in der Ukraine. Die Sprache wird also selten gesprochen und gilt dabei noch als besonders schwierig. Die meisten europäischen Sprachen gehören nämlich der indogermanischen Sprachfamilie an, das Ungarische hingegen dem finno-ugrischen Zweig der uralischen Sprachfamilie.

Textkohärenz in der Übersetzung

Die Schwierigkeit besteht beim Übersetzen oft darin, dass der Text eine Einheit darstellt, die durch sprachliche Mittel der Kohärenz hergestellt wird. Im Deutschen verweist man beispielsweise durch den Gebrauch des bestimmten Artikels darauf, dass ein genanntes Substantiv aus dem Kontext bekannt ist und stellt somit einen Bedeutungszusammenhang her. Der Nullartikel markiert häufig eine Verallgemeinerung. Im Ungarischen hingegen weicht der Gebrauch von bestimmten und unbestimmten Artikeln von dem Konzept der deutschen Sprache ab. Häufig wird das Substantiv auch ohne Artikel, jedoch nicht verallgemeinernd gebraucht. Übersetzende müssen diese Leerstelle bei der Übersetzung ins Ungarische gegen ihre eigene sprachliche Intuition setzen.

Lexikalische Unterschiede

Im Ungarischen gibt es kein Pluraletantum, ein Substantiv, das nur im Plural existiert, z.B. „Eltern“. Übersetzt man das Wort ins Ungarische, muss man sich für ein Elternteil entscheiden oder Vater und Mutter einzeln nennen. Auch der Gebrauch der Pronomen weicht ab. Während in deutschen Sachtexten neutrale Formulierungen grundsätzlich stilgebend sind, wird der Gebrauch des Pronomens im Ungarischen an die Thematik angepasst. Werden persönliche Themen wie etwa die Familie thematisiert, gebraucht man im Ungarischen die erste Person Singular, „ich“.

Kulturelle Unterschiede

Besonders offensichtlich werden kulturelle Unterschiede beim Gendern in anderen Sprachen, weil das kulturelle und gesellschaftspolitische Konzept der Zielkultur mitberücksichtigt werden muss.

Gendergerechtigkeit wird in Ungarn nun nicht gerade großgeschrieben. Ungarn verbannt Geschlechterforschung aus den Unis und AbsolventInnen wurde vorgeworfen, die christlichen Fundamente der ungarischen Kultur zu unterminieren. Glücklicherweise eignen sich finno-ugrische Sprachen gut, diese Weltsicht zu verbergen – sie sind geschlechtsneutral. Da Pronomina dadurch aber weniger differenzieren, muss die Kohärenz im Text durch lexikalische Umschreibungen hergestellt werden. Problematisch werden sonst etwa Aussagen wie „Er liebt sie, aber sie liebt ihn nicht.“ Wer liebt wen? Das bleibt UngarInnen verborgen.

Herausforderungen beim Übersetzen ins Ungarische

Für deutsche Übersetzende gilt es laut dem Fremdsprachenmagazin „Babbel“ neben kulturellen und textlinguistischen Herausforderungen noch weitere Klippen zu umschiffen:
– Das Ungarische hat ein Alphabet von 44 Buchstaben
– Da Ungarisch eine „agglutinierende“ Sprache ist, werden Person, Tempus und Kasus durch Anfügen bestimmter Affixe
ausgedrückt.

  • Das Ungarische kennt kein grammatisches Geschlecht und keine Pronomen für „sie“ oder „er“
  • Ungarisch hat anstatt vier 18 verschiedene Fälle
  • Wortbildungen sind allein anhand von Vor- oder Nachsilben möglich, der Stamm wird weggelassen
  • ohne die vollständige Beherrschung der ungarischen Grammatik, können viele Bedeutungen nicht vermittelt werden

Wer Ungarisch zu Übersetzungszwecken lernen will, benötigt schon viel Disziplin und Motivation, sich auf die Kuriositäten dieser ganz besonderen Sprache einzulassen. Außerdem ist ein gutes Gedächtnis von Vorteil. Denn es gibt Wörter, die aus über 100 Buchstaben bestehen!